Thomas Horak
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© 2013 Thomas Horak

Thomas Horak

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Fleisch

Den Deckel in der Hand sehe ich hinab auf das Foto in der Zeitung, die ich im Hof in die Mülltonne geworfen habe, schaue auf diesen runden Schweinekopf mit den rosa Schwabbelwangen und den kleinen, zugequollenen, widerlich blauen Knopfaugen. Ha! Die Bürstenhaaren stehen ab wie bei einer Katze, die sich zu Tode erschreckt. Stolz quillt sein Doppelkinn über den Kragen vom weißen Hemd. Seht her, ich bin jemand! Ich muss nicht hungern! Ich bin dick und rund und kann mir Essen kaufen, soviel ich will!

Ich lasse los, und mit lautem Scheppern verabschiedet sich seine Fresse in die Dunkelheit. Leute wie den brauchen wir hier nicht. Hat wohl Geld wie Heu, aber ist doch nur ein Zugezogener, so ein Neureicher. Den hat keiner hergebeten und der gehört nicht hierher, nein. Mitten im Dorf zwängt er seinen Palast in eine Lücke zwischen den Häusern - „Platz da, jetzt komme ich!“ - und spielt sich auf!

Musste der ständig mit seinem neuen Köter glotzend und naserümpfend an meinem Haus vorbei schleichen? Hab kein Geld, um das alte Haus herzurichten, kein Geld für Farbe und fürs kaputte Dach. Weiß doch selbst, dass es langsam zusammenfällt. Für mich ist es aber noch schön genug! Wo ich doch meine Kindheit hier verbracht habe und den ganzen Rest von meinem Leben, immer hungrig. Verprügelt hat er mich, mein alter Herr, wenn er besoffen war und erst recht, wenn er es nicht war. Kam zurück aus der Kneipe und hat an die Haustür gehämmert. Mit der Faust. Bin nicht schnell genug gewesen, war selber schuld, hab es verdient. Mutter hat auch ihren Teil abbekommen.

Dann lag er auf dem Misthaufen, am Weihnachtsfeiertag. Erfroren. Das schönste Geschenk an Weihnachten, dass ich je bekam.

Mutter wollte nie, dass ich arbeiten gehe. Sagte, ich wäre ... zu langsam. Es war immer etwas Geld da. Wir haben von der Rente gelebt, von seiner und ihrer. Bis sie auch gestorben ist.

Dann haben sie mir den Strom abgestellt. Früher, da brauchten wir den für die Knochenmühle im alten Stall. Ist ein Mordstrumm, mit großem Motor. Hat gute Dienste geleistet beim Herrichten vom Schweinefutter. Seit ich das letzte Vieh aus dem Stall aufgegessen habe, brauche ich die ja nicht mehr. Ich muss auch fast nichts mehr kaufen, versorge mich selbst. Ich trage die Anzüge vom Vater auf, und es sind noch genug davon da. Was ich essen muss, wächst im Garten und auf dem Feld da hinten ... oder fängt sich in den Fallen. Ich esse jetzt so gern Fleisch. Dann heize ich den alten Küchenofen an, mit Zweigen und Zapfen aus dem Wald, und brate es mir. Nein, Geld brauch ich nicht.

Den ersten Hund hat er immer vor die Tür gesetzt und hinter dem Spalt gewartet, bis der mit seinem Geschäft fertig vom Feld zurück gehetzt kam. War leicht, das Tier zu mir zu locken, mit einem alten Knochen durch das lose Brett im Zaun. Hat lecker geschmeckt. Ich liebe Fleisch, und man kann ja von einem Vieh fast alles essen. Mit dem Kopf habe ich eine feine Suppe gekocht, bevor ich ihn zu den anderen in die Jauchegrube geworfen habe. Aus dem Fell habe ich mir feine Hausschuhe gemacht.

Misstrauisch war er geworden, der arrogante Schnösel. Den neuen Hund hat er an der Leine geführt, zweimal am Tag vorbei an meinem Haus. Hat versucht, durch die Lücken im Bretterzaun in meinen Hof zu starren, als würde es ihn etwas angehen, was ich bei mir zu Hause treibe. Hat dann die Fallen und die Schlingen für die Katzen gesehen. Was schert es ihn? Warum musste er auch an die Haustür hämmern? Ich - mag - das - nicht. Sehe noch seinen angewiderten, blauäugigen Blick, als ich ihm öffne, sehe noch den Schritt, den er drohend auf mich zu macht. Er hat die morsche Stelle in den Flurdielen nicht gesehen, vom Regenwasser verfault, ist eingebrochen, durch den Boden direkt in den Keller gerauscht. Wie er da lag, mit dem gebrochenen Bein ... und mit seinem runden, ängstlichen Gesicht zu mir hoch sah ...

Es klopft? An der Haustür. Lasst mich in Ruhe, ich muss das Fleisch umdrehen, bevor es mir anbrennt! Nein! Nicht an die Tür hämmern, ich mag das nicht. Es will nicht aufhören, und ich husche in meinen schönen Pantoffeln zur Haustür. Ein Polizist zeigt mir das Bild, sein Bild, und fragt mich über ihn aus. Vermisst wäre er. Ich lasse den Menschen stehen. Muss zurück in die Küche, sonst brennt es noch an. Nie bin ich schnell genug. Ich wende das Schnitzel, mit der Gabel und meinem feinen Fleischermesser und das Fett spritzt in der Pfanne. Ach, wie schön das riecht.

Ich höre ein ... ein Klicken in meinem Rücken, wie von Metall. Bis in die Küche ist er mir gefolgt, ist über das blutige Loch im Flur gestiegen. Sagt, ich soll ganz langsam meine Hände heben und mich zu ihm umdrehen. Aber dann brennt doch das Fleisch an!

Na warte! Wirst auch einen schönen Braten abgeben! Werde ganz, ganz lange nicht hungern müssen. Springe mit dem Messer auf ihn, aber, ein Blitz, ein heftiger Stoß, wieso ... wieso falle ich? Immer bin ich zu langsam. Meine Brust ... warum tut das so weh?

Zwei weiße Augäpfel, auf dem Teller, schauen mit blauen Pupillen arrogant zu, wie ich ... sterbe ...