Thomas Horak
Edwin Burgenbrand
http://edwin-burgenbrand.html

© 2013 Thomas Horak

Thomas Horak

eBook Publishing

Pulsuhren sind unverdaulich - ein Ausblick

Nachdem der Naturschutzbund in Zusammenarbeit mit den Zoos in Berlin und Eberswalde in langwierigen Versuchsreihen festgestellt hat, dass Pulsuhren mit GPS, sogenannte Laufcomputer, den Verdauungstrakt von Säugetieren nahezu unbeschädigt passieren, konstituierte sich eine Interessengemeinschaft zur Wiederansiedlung von Wölfen in Brandenburgs Wäldern.

Oh, halt - wissen Sie überhaupt, was ein Laufcomputer ist? Als Laufcomputer bezeichnet man ein kleines elektronisches Gerät, dass man meist wie eine Armbanduhr am Handgelenk trägt. Dabei sendet ein Gurt, den man um die Brust geschnallt hat, die Frequenz des Herzschlags an den Laufcomputer, der gleichzeitig über einen GPS-Satelitenempfänger Position und Geschwindigkeit des Läufers aufzeichnet. Daraus berechnet das kleine Wunderteil am Ende sogar die Anzahl der Kilokalorien, die sich der Sportler weggehoppelt hat. Die Trainingserfolge lassen sich auf dem heimischen PC auswerten. Man sieht an einer Kurve sehr schön den Verlauf der Herzfrequenz, also zum Beispiel auch, wann genau man an der blonden Schnecke, die sich im Bikini im Vorgarten gerekelt hat, vorbeigerannt ist. Und in Google Earth kann man nachsehen, bei welcher Hausnummer das war und den Wegpunkt für das nächste Training in den Laufcomputer einprogrammieren.

„Nichts ist so beständig wie der Wandel“, jammerten schon die alten Griechen. Man mag es kaum glauben, aber auf den Fitness-Sektor trifft das ganz besonders zu. Sport ist zu einer sehr ernsten Angelegenheit geworden. Einfach in die Turnschuhe schlüpfen und Loseiern, das war gestern. Heutzutage müssen Sie zunächst eine Checkliste wie bei den Startvorbereitungen einer Boing abarbeiten:

- saugstarke Unterwäsche aus gleitreibungsarmem Merinolammfell, mit Gummizwickel,

- eine Teflon-beschichtete Laufhose mit geringem Luftwiderstandsbeiwert, Reflexionsstreifen und LED-Rücklicht auf den Arschbacken für das Wintertraining in der Dämmerung,

- ein superatmungsaktives und mit Sponsorwerbung bepflastert Netz-Laufshirt aus papageifarbenem Dederon (mit kleinen Löchern, fast so wie die Löcher in den Geschirrspühllappen früher in der DDR - wissen Sie noch: „Loch an Loch und hält doch“),

- fünffarbige, anatomisch korrekt vorgeformte Socken mit den aufgestickten Buchstaben ‚R‘ und ‚L‘, damit man beim Überziehen nicht rechts und links verwechselt und auf die Fresse fällt,

- an den Füßen die aktuell gültigen Laufschuhe der Saison mit Luftpolsterung und Schrittfrequenz-Messung und natürlich Gel-Einlagen aus dem Bauchfett eines Kobe-Rindes,

- und am Handgelenk den bereits erwähnten Laufcomputer, ausgestattet mit der gleichen Rechenleistung wie die russischen Raktenabwehr westlich des Urals.

Sie brauchen eigentlich gar nicht mehr loszulaufen - die Pfunde purzeln schon aus Ehrfurcht von ganz allein! Früher in der DDR, wissen Sie, bedeutete Freizeitsport, sich im braunen NVA-Trainingsanzug mit einem Kasten Bier und einer Angel vor seiner Familie im Schilf zu verstecken. Joggen? Haben Sie in der DDR mal jemanden freiwillig rennen gesehen - ich meine abgesehen von den Tagen, an denen es im Konsum Radeberger Pils gab? Jetzt müssen die Radwege hier auf dem weiten Lande bald dreispurig ausgebaut werden, um den ganzen Freizeit-Waldemars Herr zu werden. Ach ja, und das Fahrradfahren! Damals in der Tätärätä gab es die Null-Promille-Grenze, und die Volkspolizei war sehr streng mit uns Verkehrsteilnehmern: „Lassen Sie das Auto stehen, wenn Sie getrunken haben! Nähm se lieber das Road!“ Kein - einziger - normaler - ostdeutscher - Mann hätte bis zur Deutschen Einheit in einem Fahrrad ein Sportgerät gesehen. Wenn Sie jedoch heutzutage unbedingt betrunken unterwegs sein müssen, benutzen Sie lieber das Auto - äh, ich meine das Taxi, denn Radfahrer werden im Osten besonders gründlich kontrolliert. Zu Recht! Wie oft muss man im Radio hören, dass wieder ein betrunkener Radfahrer auf der Autobahn auf ein Stauende aufgefahren ist!

Nun, Rad fahren, um sich fit zu halten, ist sogar noch sehr viel cooler als Joggen, denn man benötigt zusätzlich zur aufgezählten Grundausstattung noch eine möglichst teure Rennmaschine. Leider muss ich gestehen, dass das Radeln für mich mittlerweile ein Buch mit sieben Siegeln geworden ist. Das geht schon damit los, dass ich nicht in der Lage wäre, ein Sportrad korrekt zu assemblieren! Früher war das so, dass, wenn z. B. Edeka für 180 D-Mark einen Drahtesel im Angebot hatte, man nix wie hin ist und die Eierschaukel gekauft hat. Ich meine, das Ding rollt auf zwei Rädern, Licht ist auch schon dran, die zwei funktionierenden Gänge der Nabenschaltung tun, was sie sollen, und Berge haben wir hier in Kremmen doch eh nicht, oder? Ich traue mich mit meinem Fahrrad nicht mehr auf die Straße, seit ich fürchten muss, heftig ausgelacht oder bestenfalls bemitleidet zu werden. Wenn ich mein Velo nicht schnell genug vor Lidl anschließe, liegt es schon beim Schrotthändler hinten auf der Pritsche! Dabei ist es gerade mal 12 Jahre alt! Wenn sich auf einer Party die Radprofis unter meinen Bekannten über ihre Bikes unterhalten, höre ich mit offenem Mund zu: Der Rahmen muss von Firma A sein, der Lenker von Firma B, der Sattel von Firma C oder D, aber um Gotteswillen nicht von R, und die 75-Gang-Profi-Titan-Edelstahl-Elastomer-Schaltung muss mit Perlmutlagerschalen aus vatikanischer Handmanufaktur gepimpt sein. Wenn ich dann höflich versuche, mich in das Gespräch einzubringen und danach frage, welche Firma denn die besten Kotflügel herstellt und welcher Gepäckträger denn zu empfehlen sei, riskiere ich es, vor die Tür verfrachtet zu werden ...

Haben Sie mal einen dieser Radprofis in seinem Dress näher betrachtet? Haben Sie sich mal die Hosen genau angesehen, die die tragen? Da ist im Schritt immer so eine Art von Damenbinde eingenäht, so eine für die ganz schweren Tage. Und warum? Weil der Sattel so hart ist! Mensch, warum kaufen die sich nicht einen richtigen, breiten, gepolsterten und gefederten Gel-Sitz, passend zum Gesäßumfang? Verstehen tue ich das nicht. Wissen Sie, wenn ich Rad fahren wollen würde, um mich sportlich zu betätigen, wozu bräuchte ich dann so ein teures, superleichtes, superschnell dahingleitendes Geschoss, das man nur leicht anstupst, schon schießt es pfeilschnell davon? Ich meine, da kostet das Antreten einer Simson-Schwalbe ja mehr Kraft! Mensch, Ihr Rad-Profis da draußen, wollt Ihr mal richtig ins Schwitzen kommen, dann nehmt ein altes Klappfahrrad vom VEB MIFA Fahrradwerke Sangerhausen! Und auf den Gepäckträger schmeißt Ihr Euch noch einen Sack Einkellerungskartoffeln!

Kommen wir zurück zu den Wölfen. Erstmals seit 150 Jahren haben Wölfe begonnen, sich wieder in Deutschland anzusiedeln. Der Naturschutzbund möchte uns darüber aufklären und schrieb dazu auf seiner Internetseite: „Ziel des NABU ist es, die Bevölkerung für einen bewussten Umgang mit den lange vertriebenen Rückkehrern zu sensibilisieren und die Wölfe nicht als Feind oder Konkurrent, sondern als Bereicherung und als ein Anzeichen für funktionierende Naturräume verstanden werden.“ Äh, den Satz solltet Ihr aber noch mal von jemandem mit einer etwas größeren Aufmerksamkeitsspanne Korrekturlesen lassen, liebe Naturschützer! Weiter heißt es: „Der Wolf ist weder als mythisches Überwesen zu verherrlichen noch als alles bedrohende Bestie zu verteufeln. Er ist ein Beutegreifer, dem seinen Platz in unserer freien Natur wieder zugestanden werden kann.“

Aha. Der Tierfilmer Professor Bernhard Grzimek hätte es wie folgt formuliert: „Wölfe sind possierliche Kerlchen!“

In Brandenburgs Wäldern werden also bald wieder Wölfe zu Hause sein. Es ist unvorstellbar, wie wir nur all die Jahre ohne Wölfe auskommen konnten! Vielleicht werden wir ihnen bald beim Pilzesuchen in freier Wildbahn gegenüberstehen. Doch keine Bange! Vor einiger Zeit war in verschiedenen Online-Medien folgende Geschichte zu lesen: „Eine Mutter war mit ihrer kleinen Tochter, die im Kinderwagen lag, in der Gemeinde Norrtälje nordöstlich von Stockholm zu einem Morgenspaziergang unterwegs. Ihr Hund lief dabei frei herum.“ Stop! Gehören Sie auch zu den Hundebesitzern, die ihre Lieblinge gern unangeleint herumstreunen lassen? „Da erschienen plötzlich zwei Wölfe und bauten sich vor dem Hund namens Tyson auf. Nur zehn Meter von den Menschen entfernt soll einer der Wölfe den Hund in den Nacken gebissen und in den Wald geschleppt haben ... Polizisten und Spürhunde fanden wenig später die Überreste des Wachtelhundes im Wald.“

Das ist doch ein schönes Beispiel dafür, dass Wölfe durchaus nützlich sein können! Halten wir also fest: Wölfe sind scheue Tiere, von denen keine Gefahr für uns Menschen ausgeht. Das sagen die Naturschützer und die lügen schließlich nie. Echt, Wölfe tun nix! Obwohl, einen ähnlichen Spruch habe ich schon ein paar Mal gehört, meistens aus dem Mund eines Herrchens, der seinen Wau-Wau, das große Scheißerle, mit hochrotem Gesicht und vor Anstrengung geschwollenen Adern an der vibrierend straff gespannten Leine zurückhielt: „Der tut nix, der will nur spielen!“ Dabei haben wir es hier nur mit einem klassischen Kommunikationsproblem zu tun! Wir als harmlose Passanten hören den Satz „der will nur spielen“, glauben aber nicht so recht daran, während die fletschende Kampfmaschine den Satz auch hört, aber inhaltlich nicht begreift! Gut, Hunde beherrschen unsere Sprache nicht so perfekt, wie man sich das wünschen würde. Aber was Wau-Wau irgendwann dann doch realisiert, ist das Signal der straff gespannten Leine, also zumindest in den glücklicheren Fällen des Zusammentreffens von Hund mit Beute. So, nun stellen Sie sich doch mal die Situation vor, mit der streunende Wölfe konfrontiert werden. Keine Leine, keine Sprachkenntnisse, fremd in der Gegend! Also, wir haben von den Naturschutzfachleuten gelernt, dass Wölfe uns nix tun, aber wissen die das auch? In der Schorfheide wurden sie noch gefüttert, wegen der schönen Fotos, aber hier im Kremmener Forst? Wat ist hier los?, fragen die sich, kratzen sich mit der Pfote am Kopf. Soll ich mir hier etwa mein Futter ganz alleine fangen? Soll ich etwa dem wieselflinken Rehlein selber hinterher hetzen? Dann sucht der Wolf ein bissel herum, streift durch die Gegend und findet am Ende vielleicht ein ... Schafsgatter und denkt sich: Na also! Geht doch! Aber jeden Tag Schafsfleisch? Ungebeizt? Das geht doch gar nicht! Also hat sich eine heilige Allianz zusammengefunden und eine fast alle Seiten befriedigende Lösung erarbeitet:

Unserer hochgeschätzten Bundesregierung ist es nicht unentdeckt geblieben, dass sich in der ehemaligen DDR, zu der ja auch Kremmen gehört, zusammen mit den blühenden Landschaften eine Tendenz zur Überalterung eingestellt hat, die der gleichen Tendenz in Westdeutschland um Jahrzehnte vorauseilt. Die letzten jungen Menschen, noch vor der Wende zum Guten gezeugt, verlassen den Osten, zumindest die mit Verstand, und versuchen ihr Glück jenseits der ehemaligen Zonengrenze. Rätselhafterweise haben die kleinen Racker, die zurückbleiben, oft mit ungewöhnlich starkem Haarausfall zu kämpfen. Der Osten vergreist im Zeitraffer und liegt dem Rest der leistungsbereiten Gesellschaft und dessen Sozial- und Krankenkassen auf der Tasche. Aufbauend auf den Erkenntnissen der eingangs erwähnten Untersuchungen, dass Laufcomputer unverdaulich sind, hat die Bundesregierung in Abstimmung mit dem Naturschutzbund Mittel bereitgestellt, um Tausende dieser Armbanduhren aus China zu importieren. Diese Pulsuhren mit GPS werden über die Einwohnermeldeämter kostenlos zum Beispiel an Seniorenheime in ländlichen Regionen abgegeben. Alle rüstigen Rentner, die augenscheinlich so gesund sind, dass sie der Rentenkasse noch Jahrzehnte auf der Tasche liegen könnten, all diese zähen verschrumpelten Alten bekommen einen Laufcomputer und den Brustgurt angelegt. Dann geht es mit dem Bus in jene abgelegenen Bereiche des Waldes, von denen man hofft, dass sie von Wolfsrudeln bejagt werden. Nach dem ganzen ätzenden Schafs-Haggis wäre das alte, mürbe, gut abgehangene Fleisch für unsere lieben Wölfe eine hervorragende Abwechslung auf dem Speiseplan. Die Heimbetten, die dann am Abend leer bleiben, können mit der nächsten Charge Lebendfutter neu belegt werden.

Jetzt schlägt die große Stunde der Jobcenter, die Langzeitarbeitslosen endlich eine neue Jobperspektive anbieten können. Heerscharen von 1-Euro-Jobbern und Ich-AGlern durchstreifen den finsteren Forst auf der Suche nach Wolfslosung. Mit zwei Gabeln wird der Raubtierdung zerteilt, um die Pulsuhren zu bergen und ihrer Wiederverwertung zuzuführen. Anhand der aufgezeichneten Signale können die Tierschützer die Jagd- und Wanderruten der Wölfe nachvollziehen und am aussetzenden Pulsschlag die Uhrzeit der letzten Nahrungsaufnahme rekonstruieren. Damit lassen sich sogar die erfolgversprechendsten Plätze für die nächste Fütterung ermitteln!

Soviel zur Theorie. Im Moment ist es leider noch so, dass sich die Aussetzorte der Rentner und die typischen Reviere der Beutegreifer noch nicht hinreichend überdecken und sich nahezu alle Senioren nach einem gesunden Waldspaziergang wieder in ihren Aufbewahrungsstätten einfinden. Gut, manche müssen auch gezielt eingesammelt werden, bevor sie irgendeinen Unfug anstellen. Ein orientierungsloser Opa in Badehose wurde aufgegriffen, als er in einem Becken der Kläranlage schwimmend seine Bahnen zog, eine Gruppe von Omas fand man sogar an der Selbstbedienungstheke im Spargelhof zwischen genauso orientierungslosen Berlinern wieder. Und zwei schon rechte betagte und sehr durstige Herren saßen mehrere Tage auf Barhockern an der Theke vom Kulturhaus am Markt und warteten geduldig darauf, bedient zu werden. Niemand weiß, wie sie in die vernagelte Ruine gelangen konnten. Nein, noch funktioniert das Ganze nicht so, wie man sich das wünscht, aber der Staat arbeitet schon an weiteren Strategien. Wissen Sie, ich jogge von Zeit zu Zeit gern durch den Wald - ohne Pulsuhr versteht sich. Letztens erst stieg mir mitten im Wald plötzlich ein schwerer süßlicher Aasgeruch in die Nase. Vorsichtig spähte ich nach links und rechts, immer darauf gefasst, der verfaulenden Reste eines Wolfsmahls ansichtig zu werden. Nach der nächsten Kurve erblickte ich es dann: Lebendig und quietschvergnügt, nigelnagelneue strahlend weiße Turnschuhe in bequemer Übergröße an den Füßen stakste es mit Skistöcken vor mir her. Keine Ahnung, wie die Duftwässer für die reife Dame so im Allgemeinen heißen, aber eines ist gewiss: Sie sind als idealer Lockstoff für Wölfe ein weiterer Teil des großen Plans! Also, Vorsicht walten lassen bei der Wahl des Parfüms und der aufgetragenen Menge! Sie glauben mir nicht? Ich sage Ihnen, werfen Sie beim nächsten Spaziergang vorsichtshalber auch mal einen Blick nach oben! Vielleicht kreisen über Ihnen auch schon die Geier?

Seien wir unbesorgt, die Wölfe sind auf dem Anmarsch. Und wenn dann der letzte Greis, die letzte Oma verspeist sein wird, kann man endlich den Osten Deutschlands erneut mit einer Mauer umzäunen, zum Safaripark erklären und wieder Eintritt verlangen. Die Tourismusindustrie wird boomen, wenn zahlende Wessis in ostdeutschen Urwäldern auf Wolfsjagd gehen. Ach übrigens, wer von Ihnen ein Problem mit einem renitenten Vorfahren hat, der partout weder seinen Löffel noch sein Erbe abgeben möchte: Es sind noch Pulsuhren vorrätig! Das Einwohnermeldeamt von Kremmen hat wie folgt geöffnet: Montag, Dienstag, Donnerstag von 8.00 bis 12.00 Uhr, und für die wenigen unter uns, die noch regelmäßig zur Arbeit gehen, auch noch dienstags von 13.00 bis 18.00 Uhr. Halali!